„Die deutschen Sprachinseln im Aufblühen“

Rezension von Heike Arnold

Ausschnitt aus dem Buchcover

Zum 20jährigen Bestehen des Einheitskomitees der historischen deutschen Sprachinseln in Italien ist in Zusammenheit mit dem Dokumentationszentrum Lusèrn onlus ein zweisprachiges Buch erschienen, dem Beachtung gebührt. Umfasst es doch neben der Geschichte des mühseligen Weges zur Anerkennung der Sprachinseln und der Erklärung, was Sprachinseln eigentlich sind, auch eine bebilderte Vorstellung der Walsergemeinschaften, der Bersntoler und Zimbern sowie der Sprachinseln in Friaul. Für alle, die erst jetzt damit beginnen, sich mit den historischen deutschen Sprachinseln in Italien zu beschäftigen, ist dieses Buch eine kompakte Einstiegslektüre und Ergänzung zu dem 2004 erschienenen Standardwerk „Lebendige Sprachinseln“

https://www.isolelinguistiche.it/de/buchpublikation-lebendige-sprachinseln.html

     „Sahnehäubchen“ des Jubiläumsbandes ist aus meiner Sicht „Ein Märchen in 18 Sprachen“ der Gebrüder Grimm. Erzählt wird das Märchen „Die Wichtelmänner“ in den Sprachen Deutsch und Italienisch: „Gli gnomi“ und den Sprachen von Greschòney: „De tokkiene“, Èischeme: „Die tockjini“, Im Land: „Di tokjini“, Remmalju: „D tschàfferlje“, Kampel: „D tschàfferlje“, Pomatt: „Di Zwärgjé“, CGurin: „T Zwaarggtschi“, Bersntol: „De zbèrng“, Lusérn: „Di bichtlar“, Draitzan Komaunj: „De Khöckljar“, Siban Kamaün: „De zbèrge“, Kansilien: De sberghe“, Plodn: „De zbèrglan“, Zahre: „De khlan mendlan“, Tischlbong: „Da Bolt Mandlan“ und Kanaltal: „Da Schuasta und de Wichtlmandlan“.

     Wie wichtig es 2001 war, das Einheitskomitee als permanente Einrichtung und Vertretung der deutschen Sprachminderheiten zu gründen, erzählt in seinem Grußwort der Mitgründer Luigi Nicolussi Castellan. Paul Videsott, wissenschaftlicher Leiter des Südtiroler Volkgruppeninstitutes fasst es kurz und prägnant zusammen: „L’unione fa la forza“ – „Gemeinsam sind wir stark“. „Für Minderheiten“, sagt er, „wird damit eine geradezu (über)lebensnotwendige Tatsache ausgedrückt.

  Passend zum gegenwärtigen „Zustand“ der Sprachinseln und als Ausdruck des Wertes der zwanzigjährigen Arbeit und der Schutzbedürftigkeit der Sprachminderheiten wurde für das Buchcover ein Motiv mit einem blühenden Edelweiß gewählt.

   

     Das Buch steht allen interessierten Lesern auf der Homepage des Einheitskomitees als PDF zum Herunterladen zur Verfügung:

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Buchtipp für Mundart-Freunde

Neuerscheinung im Eigenverlag: „Ortsnamen und Mundart“ im Altlandkreis Vilsbiburg

VORWORT

Die Schriftstellerin Gertrud von Le Fort (1876–1971) hat einmal gesagt, das alles, was man Vergangenheit nennt, im Grunde nur eine etwas leiser und dunkler gewordene Gegenwart sei. In der Tat wirkt Geschichte in vielfältiger Weise nach und prägt die Gegenwart und beeinflusst auch die Zukunft. Wir sind ein Glied in einer jahrhundertlangen Kette von Generationen. Dies zeigt sich deutlich in der Überlieferung der Ortsnamen, Flurnamen und Gewässernamen.

     Die Heimat an der Großen und Kleinen Vils, an der Bina und an der Rott in ihrer Mundart: Eine Gegend, die wunderbare Naturlandschaften enthält. Ein Stück des Gartens Eden liegt ohnehin in der Gemeinde Gerzen, nämlich der Ort Paradies. Der ursprüngliche Flurname bezeichnet ein eingehegtes, fruchtbares Gebiet in romantischer Lage. Der Ortsname Vogelsang (Gde. Salksdorf) weist verklärend auf die Klänge der Natur hin.

     Die Grafen von Fraunhofen verstanden es, allen Widerständen zum Trotz, ihre Reichsunmittelbarkeit zu verteidigen, bis sie 1806 in das Königreich Bayern eingegliedert wurden. Im Schloss Neufraunhofen, von François Cuvilliés barock umgestaltet, hielten sich Persönlichkeiten, wie Franz Graf von Pocci, und Wilhelm Kobell sowie König Ludwig III. immer wieder gern auf.

     Die Kultur mit Gesang, Musik, Literatur und Theater blüht. Günter Eich hat von 1944–1954 in Geisenhausen ein Stück Weltliteratur geschrieben (u. a. den Gedichtband „Abgelegene Gehöfte“ über die Gegend um Geisenhausen). Komponist Georg Kremplsetzer aus Vilsbiburg, der mit Wilhelm Busch zusammenarbeitete, war Kapellmeister am heutigen Theater am Gärtnerplatz in München (+1871 in Vilsbiburg).

     Von dem Komponisten und Vilsbiburger Chordirektor Eduard Kutschenreuther (+1846 in Landshut) wurden im Stadttheater Passau seine Operetten Der Hauptmann von Köpenick, Der Fremdling und das Singspiel Der Holledauer Fidel uraufgeführt. Nach Kleinhochreit (Gde. Gerzen) kommen bei Theateraufführungen Hunderte von Besuchern aus der ganzen Region.

     Malerei, Bildhauerei und Architektur haben durch lokale Meister beachtliche Werke geschaffen. Mehr als 30 Kunstwerke des Bildhauers Prof. Georg Brenninger (*1909 in Velden, +1988 in München) sind im Freilichtmuseum und in der „Güterhalle“ in Velden zu bestaunen. Der Maler Eduard Schleich der Ältere ist 1812 auf Schloss Haarbach geboren und war Professor an der Kunstakademie in München und Mitglied der bildenden Künste in Wien. Werner Wick hat in Kreuz bei Velden das jungsteinzeitliche Monument von Stonehenge in Originalgröße nachgebaut.

     Das professionell ausgestattete Heimatmuseum in Vilsbiburg lockt zahlreiche Besucher/innen weit über den Landkreis hinaus. Auch in Geisenhausen sind Schätze aus der örtlichen Vergangenheit liebevoll aufbereitet. Heimatforscher, wie Peter Barteit, Joseph Hager, Lambert Grasmann, Peter Käser und Ludwig Lohr haben die Geschichte mehrerer Orte gründlich erforscht und die Ergebnisse in umfangreichen Bänden publiziert. Pfarrer Bartholomäus Spirkner hat das Handwerk der Kröninger Hafner in Schriften und in einer Sammlung ihrer Werke zu Ehren gebracht.

     Ein reicher Sagenschatz spiegelt die Volksseele dieses Landstrichs. In jüngster Zeit ist in Frontenhausen das „Eberhofer-Fieber“ ausgebrochen. Der Marktplatz diente als Filmkulisse für Krimis wie Dampfnudelblues, Guglhupfgeschwader, Sauerkrautkoma, u. a. Touristen bis aus Thüringen und Nordrhein-Westfalen besuchen den Kultkreisel am Ortseingang. Die Kreis- und Stadtbibliothek stillt auch den Lesehunger von zahlreichen Kindern und Jugendlichen.

     Kirchliche und weltliche Feste sowie lebendiges Brauchtum sorgen für ein liebenswertes Zuhause. In Holzhausen wurde im früheren Pfarrhof das Trachtenkulturzentrum für ganz Bayern eingerichtet. Der spätgotische Palmesel von Feldkirchen bei Geisenhausen wurde schon bayernweit in Ausstellungen bewundert.

     Gern besuchte Wallfahrtsstätten finden wir in Maria Hilf in Vilsbiburg mit der Ruhestätte von Pater Victrizius Weiß (+ 1924), in der dörflichen Wallfahrtskirche Wippstetten mit barocken Figuren von Johann Paul Wagner und Altarbildern von Ignaz Kaufmann, in der Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit auf der Öd bei Aham. Auch das barocke Gotteshaus St. Salvator in Binabiburg ist hier zu nennen, und in jüngster Zeit wieder die Kirche St. Corona in Altenkirchen.

     Im kirchlichen Bereich haben bedeutende Persönlichkeiten gewirkt, deren Wiege im Vilsbiburger Gebiet stand. Da ist der Benediktinermönch Benedikt Egk zu verzeichnen. Er ist in Vilsbiburg geboren und verstarb 1499 als Abt des Klosters Mondsee. Der langjährige Bischof von Passau, Simon Konrad Landersdorfer, erblickte 1880 in Neutenkam bei Geisenhausen das Licht der Welt und kam über die Abtei Scheyern auf den Bischofsstuhl (+1971). Auch eine bedeutende Frau ist anzuführen. Richmunda Herrnreither ist 1868 in Magersdorf (Gde. Kröning) geboren. Sie trat in den Orden der Cisterzienserinnen ein und wurde 1925 erste Äbtissin im Kloster Waldsassen. Als eine von zahlreichen Schwestern, die aus dieser Gegend in die Armenviertel Afrikas und Asiens als Lehrerinnen und Krankenschwestern zogen, sei Franziska Parsdorfer aus Aham genannt. Sie hat Jahrzehnte im Himalaya-Königreich Nepal gewirkt (+2006). Die „Nepalhilfe Aham“ unterstützt nach wie vor Bildungs- und Sozialprojekte am Himalaya.

Der einflussreiche bayerische Innenminister Graf Maximilian von Montgelas (+1838) besaß die Hofmark Gerzen und Aham mit den jeweiligen Schlössern. In der Gruft des Schlosses Aham fand er seine letzte Ruhestätte. Hans Geiselbrechtinger (1922–1985), in Kremshub geboren, war bis 1972 Landrat in Vilsbiburg. Nach der Gebietsreform wurde er zum hochgeachteten „Vater des neuen Großlandkreises Landshut“. Ihm gelang es, die Gebietsteile, auch aus dem Rottenburger und Mallersdorfer Bereich zu integrieren. Partnerschaften mit europäischen Orten waren ihm ein Herzensanliegen.

     Auch über Berufe geben Ortsnamen Auskunft. Da erscheinen Sattler in Frauen- und Niedersattling sowie in Vilssattling. Kolbing (Gde. Bodenkirchen) verweist auf den Personennamen Cholbo, einen Kolbenmacher. Pfistersham (ehem. Gde, Binabiburg) erweist sich als Heimstätte eines Bäckers. An Fassmacher/Schäffler erinnern Ortsnamen wie Bindelhub (Gde. Neufraunhofen) und Wiesbind (Gde. Dietelskirchen; Mundartform für Wies). Ebenso wurden in Kiebelberg (Gde. Bergham) und Kupferstatt (Gde. Pauluszell) Fässer (Kufen) hergestellt. Auch Zeidler gehören zu den Berufen, die Eingang in die Ortsnamen gefunden haben: Zeiling bedeutet „bei den Bienenzüchtern“.

     Und nicht zu vergessen sind auch die vielen Müller, die einst in diesem Gebiet tätig waren. Nicht nur an der Großen und Kleinen Vils, sondern auch an der Bina und an kleinen Bächen liefen zahlreiche Mühlräder, von der Adermühle, Blutmühle und Derndlmühle, von der Eichmühle, Einäuglmühle und Höllmühle über die Kumpfmühle, Löchlmühle und Streunweinmühle bis zur Wörthmühle und noch einigen anderen. Die Mundartformen der „Mühlen-Orte“ zeichnen den Verlauf wichtiger mittelbairischer Sprachgrenzen.

     Beachtenswert ist, dass einige Orte auch nach Frauen benannt sind, was im Mittelalter sehr selten vorkam. Achldorf (ehem. Gde. Wolferding) enthält den Namen einer Arhilt, Geratsfurth (ehem. Gde. Ruprechtsberg) den einer Kerhilt. In Mariaberg und Frauenhaarbach kam die Kirchenpatronin zu Ehren. Altfraunhofen bezieht sich auf Höfe, die Herzog Tassilo den Nonnen des Klosters Frauenchiemsee geschenkt hat. Auch Frauenau (Gde. Bergham) ist zu nennen, wo Frauen einen Hof bewirtschaftet haben.

     Heimat heißt im Althochdeutschen >heimoti, heimodi< und besteht aus ahd. heima ‘Wohnung’, ‘Behausung’, ‘Heimstatt’ mit dem alten Suffix –od. Dieses Anhängsel –ot, -odi hat in unserer Sprache verschiedene Formen angenommen. Erhalten sind nur noch wenige Bildungen, wie ‘Heimat’, ‘Zierrat’, ‘Kleinod’ und auch ‘Einöde’. Es bewirkt meist die Abstrahierung von Adjektiven.

     Im Zeitalter der Globalisierung und Mobilität hat hat die Suche nach heimatlichen Empfindungen spürbar zugenommen. „Heimat braucht jeder Mensch, denn dort findet er eine vertraute Umgebung und Geborgenheit“, befand einst Max Frisch. In diesem Sinn bedeutet Heimat nicht nur „Geborgenheit in meinem Haus“, sondern vor allem im Geiste, der die Wohnstätte durchwaltet und charakterisiert. Sie ist also etwas zutiefst Dynamisches. Die Wertschätzung der eigenen Heimat führt keineswegs zu Überheblichkeit oder Geringachtung anderer Regionen, vielmehr ermöglicht sie erst ein Verständnis für die Heimatliebe anderer Bevölkerungskreise.

     Abschließend gilt es noch einen mehrfachen Dank auszusprechen an: Dr. Reinhard Bauer für seine Beiträge zu Naturraum und Geschichte des Untersuchungsgebiets, sowie für die Illustrierung des Buches durch die Beschaffung der historischen Ortsansichten von Michael Wening; dem Cimbern-Kuratorium-Bayern und Jakob Oßner, der dem vorliegenden Werk jederzeit fördernd zur Seite stand; Dr. Georg Schwarz, der mit dem Historischen Atlas über den Herrschaftsraum Vilsbiburg 1976 die geschichtlichen Grundlagen aufgezeigt hat; Dr. Rainer Ostermann für die geduldige Bearbeitung immer wieder neuer Text- und Seitenumbrüche und Heike Arnold für Ihre Unterstützung bei der Drucklegung des Buches.

     Zu guter Letzt, aber eigentlich zuallererst, gilt unser Dank all den heimatverbundenen und heimatkundlich interessierten Gewährspersonen und Informanten, deren wohlüberlegte und detaillierte Auskünfte überhaupt erst die Erstellung dieses Werks ermöglicht haben, und die oft auch über die Nennung der Mundartformen der Ortsnamen hinaus eine ganze Menge an Interessantem und Wissenswertem über ihre Heimat berichtet haben, das vielfach in die Erläuterung und Kommentierung der Siedlungsnamen eingeflossen ist.

     Für nichts mehr auf der Welt als für den Gebrauch von Ortsnamen in ihrer althergebrachten Form gilt der Sinnspruch von Karl Jaspers: „Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde“. Wie sonst wüsste jemand, wofür Namen und Bezeichnungen, wie Bààwĕng und Brousmĕng, Òòsnschdarf, Eăsnschdarf und Eăwăschdarf, Bàis’beăg und Schneen’haawă, Kiăl’egg und Gschààsch’èèd oder dă Fuără, dă Rõõbegg, dă Schdààlĕ und dă Schdiii dl und dergleichen stehen.

Johann Schober Bernhard Stör